Schadenskalkulation
BVD - Schadenskalkulation
von G. Wolf
Schadenskalkulationen für Tierkrankheiten basieren häufig auf vagen Annahmen. Sie sind teilweise einseitig und dienen als Begründungen für kostenintensive Bekämpfungsmaßnahmen. Die Summe aller "hoch geschätzten" Schäden verschiedener Krankheiten würde die Tierhaltung als Verlustgeschäft darstellen. Auch für Infektionen mit dem Virus der Bovinen Virusdiarrhoe/ Mucosal Disease (BVDV) wurden in der Vergangenheit extrem unterschiedliche Werte angegeben, sie reichen bis über 100 EUR pro Tier und Jahr.
Die Schwierigkeiten in der Schadenskalkulation für die BVDV- Infektion sind durch mehrere Aspekte begründet:
- das Auftreten von Erkrankungen variiert in Abhängigkeit vom BVD-Virusstamm;
- die Abwehrlage des Rindes bei der Infektion beeinflusst den Schadensverlauf;
- die Schadwirkungen sind sehr unterschiedlich, teilweise werden Probleme irrtümlich BVDV-Infektionen zugeordnet;
- die Auftretenshäufigkeit von Infektionen wird oft nur pauschal geschätzt;
- die Geldverluste bei einzelnen Schäden werden verschieden angegeben (regionale Unter-schiede, Wandel der Produktpreise).
Für die vorliegenden Berechnungen von BVDV-bedingten Schäden wurden folgende Quellen verwendet:
- Zahlen aus der Statistik für bayerisches Fleckvieh 2003 (Struktur der Rinderhaltung, Tier- und Produktpreise; Roland Tafertshofer, LFL- und LKV- Daten)
- geschätzte Indizes (Erkrankungshäufigkeiten, Tierverluste) aus der Literatur und aus eigenen Beobachtungen und
- VDV- Daten für Bayern im Jahr 2003 aus der Doktorarbeit Brendel.
BVDV-Infektion und Schadereignisse
Das BVD-Virus ist sehr variabel, Feldstämme unterscheiden sich in der Fähigkeit, Krankheiten hervorzurufen (Virulenz). Zudem spielt die Abwehrlage des infizierten Rindes eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Krankheitssymptomen nach einer BVDV Infektion.
Eine charakteristische Eigenschaft ist die Möglichkeit einer lebenslangen BVDV- Infektion, bei der das infizierte Rind massenhaft Virus (>10 Millionen infektiöse Einheiten pro g Schleimhaut-sekret) ausscheidet, ohne notwendigerweise selbst daran zu erkranken. Solche BVDV-Dauerausscheider bezeichnet man auch als persistent infizierte (PI-) Rinder oder Virämiker. Sie entstehen durch Infektion des Embryo bzw. Fetus im ersten Drittel der Trächtigkeit.
PI-Rinder entwickeln immer dann eine tödlich verlaufende Mucosal Disease (MD), wenn durch mehr oder weniger zufällige Veränderung des Virus (Mutation) ein zellzerstörendes BVD-Virus entsteht. Das Bild der MD ist durch Geschwüre (alle Schleimhäute, Haut im Zwischenklauenspalt und am Kronsaum) sowie häufig unstillbaren Durchfall gekennzeichnet. Leben mehrere PI-Tiere zusammen, wird Mucosal Disease im zeitlichen Zusammenhang bei allen PI-Tieren beobachtet, da sich die PI-Tiere mit dem veränderten BVD-Virus gegenseitig infizieren (Superinfektion).
Die massenhafte Virusausscheidung der PI-Tiere führt dazu, dass sich in der unmittelbaren Umgebung nach kurzer Zeit fast alle Rinder infizieren, sofern sie nicht aufgrund einer früheren Infektion oder Impfung vor einer Neuinfektion geschützt sind. Oft werden nach diesen Infektionen vom Landwirt keine nennenswerten Krankheitssymptome beobachtet, sofern die Tiere nicht trächtig sind.
Bei Infektionen tragender Rinder wird grundsätzlich auch die Frucht infiziert. Diese Infektion führt zu unterschiedlichen Folgen je nach Entwicklungsstadium der Frucht:
Im ersten Drittel der Trächtigkeit kommt es zum Abort oder, wie oben beschrieben, zur Erzeugung von PI-Tieren. Mucosal Disease tritt bei letzteren möglicherweise erst Jahre später oder gar nicht auf. Mit zunehmender Entwicklung des Fetus kann BVDV-Infektion zu erheblichen Störungen in der Organentwicklung führen. Fruchttod, Missbildungen und lebensschwache Neugeborene sind die Folge. Die Fruchtschäden werden auch bei BVDV-Infektionen beobachtet, die bei der Kuh zu keiner weiteren Krankheit führen. Zwischen Infektion der Kuh und Abort vergehen Wochen bis Monate.
Wiederholt wurden in letzter Zeit sogenannte EURBVDV-AusbrücheEUR mit schweren Erkrankungen zusätzlich zu den Trächtigkeitsstörungen beschrieben. Aus solchen Herden konnten BVDV Stämme isoliert werden, die auch unter Versuchsbedingungen schwere Krankheiten hervorrufen. Rinder weisen dabei eine sehr hohe Virusmenge im Blut auf, schwere Allgemeinerkrankungen mit hochgradiger Darmentzündung, Lungenentzündung, teilweise mit schweren Blutungen (hemorrhagic syndrome, HS) und Todesfälle bei Tieren jeden Alters kommen dabei vor.
Wirtschafliche Folgen der BVDV-Infektion
Zur Berechnung der Schäden im Milchviehbetrieb wurde eine mittlere bayerische Fleckviehherde mit 35 Kühen, 7 belegten Kalbinnen, 11 Jungrindern und 7 Kälbern (<7 Wochen) mit durchschnittlicher Milchleistung (6288 kg/a) verwendet.
Der Anteil empfänglicher Tiere in der Herde wurde variiert von einer bereits vollständig durchseuchten Herde bis zur EURfreienEUR Herde. Dabei wurde angenommen, dass eine Feldinfektion zum lebenslangen Schutz vor Schäden durch Reinfektionen führt. Eine grobe Abschätzung der Empfänglichkeit der Herde kann der Tierarzt mit Hilfe von Stichprobenuntersuchungen vornehmen.
Das Risiko der Infektion wurde variiert und als Durchseuchungsintervall angegeben. Managementfaktoren, BVDV-spezifische Hygienemaßnahmen und die Prävalenz von PI-Tieren in der Region bestimmen im wesentlichen diesen Wert.
Für die Häufigkeit der Schadensereignisse nach der Infektion empfänglicher Rinder wurde die Kalkulation für einen "schwach" und einen "stark" krankmachenden BVDV-Stamm als jeweilige Grenzbedingung kalkuliert.
Die Kosten jedes einzelnen Schadensmerkmals wurden als wirtschaftlicher Verlust ohne Tierarztkosten aufgrund der Produkt- und Tierwerte angenommen.
Der Gesamtschaden bei der Durchseuchung einer Herde setzt sich aus der Summe aller Einzelschäden zusammen. Für jedes Schadensmerkmal wird dieser aus dem Produkt folgender Zahlenwerte berechnet:
- relativer Anteil BVDV empfänglicher Tiere der betreffenden Altersgruppe;
- Anteil Tiere in der jeweiligen Altersgruppe
- relativer Anteil an Tieren, die für das Schadensmerkmal in Frage kommen (z. B. Trächtigkeitsstadien)
- Häufigkeit des Ereignisses nach einer Infektion (Manifestationsindex)
- Gesamttierzahl der Herde
- Verlust in EUR für das Schadensmerkmal
Der Berechnung wurden folgende Tabellen zugrunde gelegt:
mittl. bayerische FV-Herde Jahr 2002 | |
---|---|
Herdenstruktur: |
Anzahl |
Kühe 1. Laktation |
8,1 |
Kühe 2. Laktation |
6,5 |
Kühe 3. Laktation |
5,8 |
Kühe 4. Laktation |
5,2 |
Kühe 5. Laktation |
4,1 |
Kühe 6. Laktation |
2,6 |
Kühe 7. Laktation |
1,6 |
Kühe 8. Laktation |
1,0 |
Summe Kühe: |
35,0 |
|
|
Kalbinnen vor Laktation, belegt |
7,1 |
"Kalb Verkaufsalter" bis vor Belegen |
10,5 |
Kälber Geburt bis Verkaufsalter |
7,3 |
Zuchtbullen |
0,0 |
Mastbullen |
0,0 |
Mastkälber |
0,0 |
Mastfärsen |
0,0 |
Fresser |
0,0 |
Summe nicht-Kühe: |
24,87 |
Summe alle: |
59,9 |
|
|
Zwischenkalbezeit Tage |
391 |
Milchleistung Durchschnitt (kg) |
6.288 |
Anteil kB (Annahme) |
100% |
Graviditätsdauer Tage |
288,1 |
Erstkalbealter Monate |
28,4 |
Verkaufsalter Kälber Wochen |
6 |
Kosten/Schaden |
EUR |
Fleckvieh Bayern (LKV, LfL) |
---|---|---|
Kühe |
1.302,00 EUR |
Jungkuh + 33 EUR NK |
Kalbinnen, belegt |
1.273,00 EUR |
Kalbin + 33 EUR NK |
Nachzucht Geburt bis Belegen |
873,00 EUR |
(Jungrind-Zuchtkalb) / 2 + Zuchtkalb + 33 EUR NK |
Kälber Geburt bis Vekaufsalter |
307,13 EUR |
Nutzkälber m&w abzgl. 35 EUR Aufzuchtkostenhalbe |
weibl. Nutzkalb |
268,51 EUR |
|
männl. Nutzkälber |
415,35 EUR |
|
Zuchtkälber wbl. |
331,36 EUR |
|
Altkuh |
602,00 EUR |
(Schlachtpreis) |
|
||
Schätzungen |
EUR |
|
"akute BVD" Jungtier und nicht laktierendes Rind |
25,00 EUR |
Durchfall/Grippe/Pneumonie evtl. Behandlungskosten |
"akute BVD" laktierendes Rind |
40,00 EUR |
mgl. 2 Wochen verminderte Milchleistung (Behandlung&Milchgeldausfall) |
Frühträchtigkeit Abort (1.-4. Mo.) |
75,00 EUR |
evtl. verspätet bemerkt, Neubesamung, Haltungskosten/Laktation |
Mitte Trächtigkeit Abort (4.-7.Mo.) |
671,00 EUR |
Differenz Zucht- zu Schlachttier, Frucht/Laktation/Fertilität |
Umrindern, 1EUR/d FV |
20,00 EUR |
Tier wird einen Zyklus später gravide, Nachbesamung |
Mucosal Disease-Verlust |
736,71 EUR |
meist bei Tieren zwischen 3Mo. und 2 Jahre auf, Tier mgl. bereits verkauft !! |
Kümmerer |
256,45 EUR |
75 % des Zuchtkälberpreises |
lebenschwache Neugeborene |
271,93 EUR |
Verlust Neugeborenes Kalb (Kälberpreis-eingesparter Aufzuchtkosten 70 EUR) |
Schaden nach BVDV-Infektion |
Zeitspanne (Tage) |
Anteil Rinder, |
Erkrankungs- | |
---|---|---|---|---|
schwach | hoch | |||
Totalverlust | 365 | 100 % |
0 % |
10 % |
"akute BVD" mit Grippe, Durchfall | 365 | 100 % |
20 % |
50 % |
Abort (1. - 3. Monat) | 90 | 23,02 % |
30 % |
30 % |
Abort (4. - 7. Monat) | 120 | 30,69 % |
50 % |
50 % |
Umrindern | 20 | 5,12 % |
80 % |
80 % |
Mucosal Disease Verlust (1. - 3. Monat, Bedingung für PI-Rind) |
90 | 23,02 % |
70 % |
70 % |
Kümmern ( 4. - 7. Monat) | 120 | 30,69 % |
25 % |
25 % |
lebensschwache Neugeborene (8. - 9. Monat) |
60 | 15,35 % |
25 % |
25 % |
Für die Berechnungen wurde angenommen, dass Rinder nach einer Feldinfektion lebenslang vor BVDV-Schäden durch weitere Infektionen geschützt sind. In einer durchschnittlichen Fleckviehherde mit 60 Rindern ergeben sich folgende Schadenssum-men durch Neuinfektionen aller empfänglichen Rinder (späte Folgeschäden durch vorangegan-gene BVDV- Infektionen bleiben unberücksichtigt):
"mittlerer" Maximalschaden (EUR) bei BVDV-Infektion aller noch empfänglichen Rinder | ||
---|---|---|
letzte Herdeninfektion vor: | schwach virulent | hoch virulent |
permanent PI in der Herde | 298 | 449 |
1 Jahr | 330 | 1.060 |
2 Jahre | 1.674 | 3.155 |
3 Jahre | 4.106 | 6.486 |
4 Jahre | 5.854 | 9.049 |
5 Jahre | 7.346 | 11.237 |
6 Jahre | 8.700 | 13.222 |
7 Jahre | 9.882 | 14.953 |
8 Jahre | 10.790 | 16.286 |
9 Jahre | 11.384 | 17.156 |
10 Jahre | 11.755 | 17.700 |
Je länger die letzte Durchseuchung einer Herde zurückliegt, desto mehr empfängliche Rinder sind nachgewachsen und desto größer ist der Schaden bei einer neuen Infektion. Insbesondere die Infektionen trächtiger Rinder führen zu hohen Verlusten.
Entscheidend für die Kosten-Nutzen Relation von regionalen BVDV- Bekämpfungsmaßnahmen ist die Bewertung des Schadens in allen Betrieben. Für diese Berechnungen wurde angenommen, dass sich jeweils in bestimmten Zeitintervallen alle empfänglichen Rinder, also alle, die nicht früher schon eine BVDV-Infektion hatten, infizieren. Durch eine Normierung, hier auf den Schaden pro Kalbung, errechnen sich in Abhängigkeit von der Häufigkeit der Neuinfektionen pro Zeiteinheit (Inzidenz) folgende Werte:
Häufigkeit der Infektionen pro Zeiteinheit (Inzidenz) |
mittlerer Schaden | |
---|---|---|
schwach virulent |
hoch virulent | |
permanent PI in der Herde | 4,3 | 32,6 |
1 Jahr | 4,3 | 32,6 |
2 Jahre | 23,9 | 45,0 |
3 Jahre | 39,1 | 61,3 |
4 Jahre | 41,7 | 63,9 |
5 Jahre | 41,9 | 63,3 |
6 Jahre | 41,3 | 62,0 |
7 Jahre | 40,2 | 60,0 |
8 Jahre | 38,4 | 57,2 |
9 Jahre | 36,0 | 53,5 |
10 Jahre | 33,5 | 49,7 |
Die vergleichsweise niederen Werte bei permanenten bzw. häufigen Infektionen ergeben sich, da hierbei Feldinfektionen bereits vor der ersten Trächtigkeit stattfinden. Es kommt also nicht zu den sehr verlustreichen Trächtigkeitsschäden, auch die Erzeugung neuer PI-Tiere findet nur sel-ten statt. Diese Tatsache ist besonders zu berücksichtigen, wenn Bekämpfungsmaßnahmen nicht zur Ausrottung oder vollständigen Verhinderung der Neuinfektion in den Herden führen. Die Verringerung der Infektionshäufigkeit führt dann zu einer Erhöhung der Schadenssummen. Erst wenn im Mittel alle fünf Jahre oder seltener Neuinfektionen in den Herden auftreten, sinkt der mittlere Schaden wieder, wenngleich natürlich die betroffenen Einzelherden dann extrem be-lastet werden. Aufgrund dieser Tatsache sind freiwillige Bekämpfungsmaßnahmen ohne Impf-prophylaxe als sehr kritisch zu betrachten.
BVDV Vorkommen in Bayern
Bayerische Rinderherden wurden im Jahr 2003 zur Ermittlung des Anteils infizierter Herden untersucht. Von über 1000 zufällig gewählten Herden wurden 27 % als langfristig BVDV frei diagnostiziert.
Bei 18% war eine aktuelle Infektion in der Herde zu vermuten, da BVD-Virus oder BVDV-Antikörper bei Jungtieren festgestellt wurden. In knapp 10 % dieser Verdachtsbetriebe berichtete der Landwirt über eine Anhäufung von Schäden, die für eine Neuinfektion in den vorausgegan-gen 2 Jahren sprachen, die übrigen waren vermutlich seit langem durchseucht und daher ohne nennenswerte Schäden.
Die restlichen 55% waren in der Vergangenheit BVDV infiziert, dokumentiert über Antikörper in der Sammelmilch, aktuell jedoch konnte über die Freiheit von BVDV-Antikörpern der Jung-tiere BVD-Virus in der Herde ausgeschlossen werden.
Georg.Wolf@micro.vetmed.uni-muenchen.de, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Infektions und Seuchenmedizin, Tierärztliche Fakultät der LMU, Veterinärstraße 13, 80539 München. 089/2180 2533