Long Covid-Umfrage
Abschlussbericht des Leiters des Gesundheitsamtes Dr. Roland Brey
Amberg-Sulzbach. Das Gesundheitsamt führte von Ende April bis Mitte Juli 2023 eine Nachbefragung von ehemals Covid-Infizierten zu fortbestehenden Beschwerden im Sinne von „Long Covid“ durch. Dieser Begriff bezeichnet die gesundheitlichen Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion und umfasst Symptome, die mehr als vier Wochen nach Ansteckung fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten. Wie viele Menschen davon betroffen sind, ist schwierig zu erfassen. Deshalb hat der Leiter des Gesundheitsamtes Amberg, Dr. Roland Brey, für seinen Zuständigkeitsbereich, also für die Stadt Amberg und den Landkreis Amberg-Sulzbach, eine Long Covid-Befragung durchgeführt und wie folgt zusammengefasst:
2366 Personen teilten Beschwerden mit, die mit einer früheren Covid-Infektion in Verbindung stehen könnten. Etwa 1700 bejahten dabei die Frage im Sinne der Post Covid-Definition, über 1000 gaben an, noch heute Beschwerden zu haben. Ihren Gesundheitszustand stuften ca. 250 Betroffene als schlecht oder sehr schlecht ein. Die fünf meistgenannten Symptome waren Erschöpfung, Probleme bei körperlichen Anstrengungen, Antriebslosigkeit, Atemnot bei Belastung und Gelenk-/Muskelschmerzen.
Bei der Auswertung nach dem Jahr der Infektion fiel auf, dass die Covid-Infizierten 2020 mehr an Konzentrations- und Geruchs- oder Geschmackstörungen litten als diejenigen der anderen beiden Jahre. Dies kann mit der damals kursierenden Virusvariante und einer schwerer verlaufenden Infektion in einem Jahr zusammenhängen, in dem noch keine Impfungen möglich waren. Wer den Eindruck hatte, von Long Covid betroffen zu sein, gab im Vergleich zu jemanden, der sich diesbezüglich unsicher war, deutlich häufiger an, aktuell und längere Zeit Beschwerden zu haben, insbesondere Probleme bei körperlichen Anstrengungen, Atemnot bei Belastung und Antriebs- oder Interesselosigkeit.
Ein Indikator für das Vorliegen von Long- /Post Covid könnte auch eine Dauer der Arbeitsunfähigkeit von mehr als 4 Wochen sein. Personen, die über eine stärkere Ausprägung von Müdigkeit oder Erschöpfung berichtet haben, wurden zudem länger krankgeschrieben als Patienten mit einer geringeren Intensität dieses Symptoms.
„Die Pandemie nach der Pandemie“, so wurden Post Covid und Post-Vakzin-Syndrom in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt bezeichnet. Eine SARS-CoV-2-Infektion lasse sich heute erfolgreicher behandeln als in der Anfangszeit der Pandemie. Im Gegensatz dazu seien die Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung noch wenig verstanden und effektive Therapien hierfür noch nicht etabliert. Die als Post-COVID-Syndrom (PCS) zusammengefassten, alltagsrelevanten chronischen Verläufe hätten erhebliche soziale und gesundheitsökonomische Auswirkungen. Auch in unserer Region gibt es viele Personen, die langanhaltende Beschwerden nach einer Infektion oder Impfung beklagen, wie sich bei unserer Erhebung gezeigt hat. Teilweise hat dies auch zu einer wesentlichen Einschränkung ihrer Arbeits- und Erwerbsfähigkeit geführt, so dass Aufgaben oder Stunden reduziert werden mussten. Mehr als hundert Personen gaben sogar an, ihrer bisherigen Tätigkeit nicht mehr nachgehen zu können.
Im Hinblick auf die Komplexität des Krankheitsbildes sind Netzwerke anzustreben, in denen Schwerpunktzentren mit den Haus- und Fachärzten vor Ort und weiteren Professionen interdisziplinär bei der Versorgung der Patienten zusammenwirken.
Abschließend ist die Frage aufzugreifen, wie viele Menschen in unserer Region AM/AS tatsächlich von Long Covid betroffen sein könnten. Unsere Befragung bezog sich auf alle Covid-Fallmeldungen der Jahre 2020 bis 2022, wobei eine Beschränkung auf die Altersgruppe 18-65 Jahre erfolgte. Insgesamt waren dies 48609 Personen, was etwa einem Drittel der Bevölkerung entspricht. Per Mail konnte knapp die Hälfte dieser Personen erreicht werden, von denen etwa jeder Fünfte geantwortet hat. 4931 Personen entsprechen ca. 3% der Gesamtbevölkerung, was somit einen sehr kleinen Anteil darstellt, siehe die folgende Abbildung, bei der versucht wurde, die Größenverhältnisse durch die Kreisflächen ungefähr darzustellen.
Repräsentative Umfragen können durchaus mit kleineren Teilnehmerzahlen durchgeführt werden, wenn die Stichprobe die Merkmale der gesamten Bevölkerung gut abbildet. Dies ist bei unserer Erhebung aber nicht der Fall: dem Gesundheitsamt liegen nur Meldungen vor von Personen, die mittels PCR-Test positiv getestet worden waren. Zu Beginn der Pandemie waren die Testangebote jedoch nicht ausreichend verfügbar, was zu einer deutlichen Untererfassung der Infektionen geführt hat. Vor allem im Verlauf der Omikron-Welle(n) 2022 machte das Gesundheitsamt die Erfahrung, dass einem positiven Antigentest (Schnelltest) nicht immer ein PCR-Test zur Bestätigung folgte. Vielfach wurde auch wegen eindeutiger Symptome ganz auf eine Testung verzichtet. Es muss daher mit einer Dunkelziffer gerechnet werden, die aber schwer erfasst werden kann. Studien des Robert Koch-Institutes, die darüber Aufschluss geben könnten, enden aktuell im Februar 2022, also vor der Omikron-Welle, die dann auch zu Infektionen bei bis dahin nicht infizierten und vollständig geimpften Personen führte.
Zum damaligen Zeitpunkt ging man von einem Anteil von infizierten Erwachsenen von 10% in Deutschland aus, der Untererfassungsfaktor wurde mit 1,5 bis 2 angegeben, das heißt, es gab bis zu doppelt so viele Infizierte wie gemeldet. Es ist unklar, wie hoch der Anteil der Bevölkerung heute ist, der sich mit Covid infiziert hat. Verschiedene Experten, die im Rahmen dieser Erhebung um eine Einschätzung gebeten wurden, wie viele Menschen sich in Deutschland insgesamt infiziert haben könnten, konnten oder wollten keine Antwort darauf geben. In den USA geht man von 78% der Amerikaner aus, die sich bis Ende 2022 infiziert haben.
Das Robert Koch Institut führt verschiedene Studien sowohl zur Verbreitung von Covid-19-Infektionen als auch zu Long Covid durch, sodass möglicherweise bald aktuellere und bessere Daten für Deutschland vorliegen werden. Mehrere Publikationen stünden kurz vor der Einreichung oder Veröffentlichung. Sie konnten daher für diesen Bericht noch nicht berücksichtigt werden, sollen aber zu einem späteren Zeitpunkt für Ergebnisvergleiche herangezogen werden.
Weitere Gründe, weshalb unsere Ergebnisse keine belastbaren Aussagen über die Verbreitung in der Gesamtbevölkerung liefern können, liegen in der Methode selbst, da nur Personen kontaktiert wurden, für die eine Mailadresse zur Verfügung stand. Dies spielt auch eine Rolle dafür, warum der Anteil der Teilnehmer, die im Krankenhaus gewesen waren und deshalb schwerere Covidfolgen davongetragen haben könnten, sehr gering war. Übersichtsarbeiten zeigen aber, dass Erkrankte, die wegen einer schweren Covid-Infektion stationär behandelt werden mussten, ein höheres Risiko für Long Covid haben als Personen mit milderen Verläufen. Dagegen ist davon auszugehen, dass die angebotene Möglichkeit zur nachträglichen Teilnahme zu einem höheren Anteil von Personen mit Beschwerden im Zusammenhang mit einer Covid-Infektion oder einer Impfung geführt hat. Dies wurde aber in Kauf genommen, da es wichtig erschien, den Betroffenen Gehör zu schenken.
Zur Häufigkeit von Long Covid hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach bei der Vorstellung des Long Covid-Programmes am 12. Juli 2023 angegeben, dass zwischen 6 und 15 Prozent der Infizierten an Long Covid erkrankten. Oft wird auch ein Anteil von 10% genannt, so in einer Übersichtsarbeit, die sich mit der Immunologie von Long Covid befasst. Wie erwähnt, ist allerdings die Zahl der Infizierten gerade auch in Deutschland nicht bekannt. Daher erfolgte eine Orientierung an den Daten, die für die Gesamtbevölkerung in Großbritannien, in Frankreich und in den USA mittels großer Studien bzw. Bevölkerungsbefragungen erhoben worden sind und laufend fortgeschrieben werden, weshalb diese Zahlen aktueller sein können als die in vielen Studien präsentierten Raten. In den genannten Ländern geht man von einem Anteil der Long/Post CovidBetroffenen in der erwachsenen Bevölkerung von 3 bis 6% aus, was auch gut vereinbar ist mit der Presseerklärung von Dr. Hans Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa vom 27. Juni 2023, wonach etwa jeder dreißigste Europäer im Laufe der letzten drei Jahre mit Long Covid zu kämpfen hatte.
Auf die Bevölkerung in der Stadt Amberg und im Landkreis Amberg bezogen, müsste danach mit bis zu 4000 Long Covid-Betroffenen mit leichteren und stärkeren Beschwerden gerechnet werden. Ein Teil dürfte im Sinne von ME/CFS schwer erkrankt und in den Alltagsaktivitäten so stark eingeschränkt sein, dass daraus häufig eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit folgt. In Großbritannien und Frankreich schätzt man, dass dies auf 20-30% der Long Covid-Patienten zutreffen könnte. In AM/AS wären das ca. 1000 Menschen, was die Notwendigkeit unterstreicht, die Entwicklung der Diagnostik, Behandlung und Betreuung der Erkrankten voranzubringen. Bei der Eröffnungs-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) anlässlich deren 129. Kongresses im April 2023 betonte die Kölner Infektiologin Frau Prof. Dr. Clara Lehmann, dass Long COVID eine schwere somatische (körperliche) Krankheit mit biologischen Ursachen sei. Es handele sich nicht um eine psychosomatische Krankheit. Auch dies gilt es künftig stärker zu beachten, wenngleich nicht unerwähnt bleiben darf, dass es andere Einschätzungen gibt, und die Rolle psychosozialer Faktoren ebenso wie viele weitere Aspekte noch nicht abschließend geklärt ist.
Einigkeit dürfte aber darüber bestehen, dass nicht alle Symptome und Beschwerden bei Personen mit einer früheren Covid-Infektion der Infektion anzulasten sind. Die hohe Zahl der Infizierten hat jedoch zu einem starken Anstieg der Betroffenen mit weitreichenden persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen geführt.
Mit der Befragung und dem vorgelegten Bericht sollte das schwierige Thema Long Covid auf lokaler Ebene aufgegriffen werden mit dem Ziel, selbstberichtete Symptome und Beschwerden zu erfassen, um damit eine dringend benötigte Datengrundlage im eigenen Zuständigkeitsbereich zu schaffen. Das Gesundheitsamt kann jedoch weder Diagnostik noch Behandlung anbieten, wofür gut informierte Haus- und Fachärzte notwendig sind. Mit ihnen und ggf. mit der Unterstützung durch externe Fachleute, Politiker, Ministerien u.a. soll der Aufbau einer Versorgungsstruktur für Long Covid-Patienten bei uns vor Ort angestoßen werden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, über die kürzlich die Charité Berlin berichtet hat – z.B. die Bedeutung der Handkraft als Parameter für die Schwere des Post Covid-Syndroms und zur Abschätzung der Prognose – belegen die intensive Forschung zu dieser Erkrankung und geben Hoffnung, dass den Betroffenen bald zielgerichtete Untersuchungen und wirksame Behandlungen angeboten werden können.
Wie dargestellt wurde, sind noch viele Fragen offen, gerade auch zur Häufigkeit von Long Covid, die in Fachkreisen kontrovers diskutiert wird. Ob die eigene Schätzung korrigiert werden muss, werden möglicherweise künftige Studien zeigen.
Text: Dr. Roland Brey