Patientenverfügung
Umfang der Verfügung
Durch eine sog. Patientenverfügung kann im Voraus für den Fall der Einwilligungs- und Entscheidungsunfähigkeit Einfluss auf eine ärztliche Behandlung genommen werden. Man kann in einer solchen Verfügung Anweisung an Ärzte geben, bei unumkehrbaren Sterbeprozessen keine künstlichen lebensverlängernden Maßnahmen anzuwenden, auch besteht die Möglichkeit für bestimmte schwere Erkrankungen Behandlungsmethoden zu fordern oder abzulehnen. Man kann auch grundsätzlich Organtransplantationen und Bluttransfusionen zustimmen oder sie ablehnen.
Zum Verständnis einer solchen Verfügung soll kurz auf einige juristische Grundsätze des Behandlungsrechts eingegangen werden. Nach deutschem Recht stellt jede Heilbehandlung einen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit dar und ist nur zulässig, wenn der Patient oder sein (gesetzlicher) Vertreter eine wirksame Einwilligung erteilt hat. Nimmt der Arzt einen Eingriff vor, begeht er eine Körperverletzung; die Einwilligung schafft allerdings einen Rechtfertigungsgrund.
Für die notwendige Einwilligung ist beim Patienten keine Geschäftsfähigkeit, sondern eine sog. Einwilligungsfähigkeit erforderlich. Diese setzt voraus, dass der Betroffene über Grund, Bedeutung, Tragweite, Risiken, alternative Behandlungsmöglichkeiten und Konsequenzen der ärztliche Maßnahme in einer für ihn verständlichen Form aufgeklärt wurde, er die Aufklärung erfassen konnte und in der Lage war, seinen Willen hiernach zu bestimmen. Ist der Betroffene nicht einwilligungsfähig, so muss für ihn ein Vertreter die Zustimmung erteilen. Dies kann ein gesetzlicher Vertreter, somit ein Betreuer sein, oder ein gewillkürter Vertreter, ein Bevollmächtigter. Kann der Arzt weder die Einwilligung des Patienten noch eines Vertreters erlangen, muss er bei (Eil-) Maßnahmen auf den mutmaßlichen Willen des Kranken vertrauen und unter Umständen dessen mutmaßliche Zustimmung unterstellen.
Hier greift nun die Patientenverfügung, aus der ein mutmaßlicher Wille des Betroffenen entnommen werden kann. Es sei nochmals auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.09.1994 hingewiesen, in dem ausgeführt wird:
- Bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten kann der Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn die Voraussetzungen der von der Bundesärztekammer verabschiedeten Richtlinien für die Sterbehilfe nicht vorliegen, weil der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Entscheidend ist der mutmaßliche Wille des Kranken.
- An die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses sind strenge Anforderungen zu stellen. Hierbei kommt es vor allem auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen an.
- Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muss auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, eines Angehörigen oder einer anderen Person.
Wie in der Begründung des Urteils weiter ausgeführt wird, kommt es auf den mutmaßlichen Willen des Patienten im Zeitpunkt der Maßnahme an. Dies bedeutet, dass die Erklärungen des Betroffenen in einer Patientenverfügung umso mehr Gewicht haben, je näher sie zeitlich dem Eingriff liegen. Denn die zu einem früheren Zeitpunkt getroffenen Verfügungen können der aktuellen Situation oft nicht mehr entsprechen, zum Beispiel durch inzwischen verbesserte Behandlungsmethoden.
Eine Patientenverfügung ist umso beachtlicher, je zeitnäher und konkret krankheitsbezogener sie nach ärztlicher Aufklärung formuliert wurde. Die Verfügung sollte deshalb in bestimmten Abständen (etwa alle ein bis zwei Jahre) neu bestätigt werden, unter Umständen mit dem Hinweis auf erneute ärztliche Aufklärung.
Form der Verfügung
Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben, allerdings sollte auch hier Schriftform gewählt werden, um einen besseren Nachweis zu haben.
Bei der Errichtung ist Geschäftsfähigkeit nicht erforderlich, es reicht die sog. Einwilligungsfähigkeit (siehe oben). Zweckmäßigerweise sollte man bei der Errichtung einen Zeugen beziehen, wobei sich ein Arzt anbietet, der bestätigt, dass die Schrift zweifelsfrei in Kenntnis und nach Aufklärung über alle dargelegten Verfügungen gefertigt wurde. Die Patientenverfügung sollte (auffindbar) verwahrt werden; zweckmäßig könnte eine Notiz sein, welche der Betroffene mit sich führt, in der auf das Vorhandensein und den Verbleib der Verfügung hingewiesen wird.
Bindung der Verfügung
Umstritten ist die Frage, ob ein Arzt an die Patientenverfügung gebunden ist. Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (siehe oben) wird zumindest allgemein davon ausgegangen, dass ein Arzt sie befolgen darf; unklar ist aber weiterhin, ob er sie befolgen muss.
Behandelt ein Arzt, obwohl ihm dies in einer Patientenverfügung verboten wird, macht er sich der Körperverletzung schuldig, da die (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten fehlt. Behandelt der Arzt nicht, und stellt sich heraus, dass die Patientenverfügung nicht wirksam errichtet ist oder der Patient nicht mehr an ihr festhalten wollte, so könnte ihm unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder gar Totschlag zur Last gelegt werden.
Soweit die Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung verbunden wird, was jederzeit zulässig ist, bindet sie den Bevollmächtigten, aber auch den Betreuer, da diese grundsätzlich den Wünschen und Vorgaben zu folgen haben. Allerdings ist für sie eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich, wenn durch den Eingriff eine Lebensgefahr oder ein schwerer und lang andauernder gesundheitlicher Schaden auftreten könnte, bisher: § 1904 BGB, neu: § 1829 BGB, seit 01.01.2023.